El Dorado Albion 2004
Rum des Monats März 2019
Rum-Review • 1. März 2019
Guyana und die Geschichte des Demerara-Rums
Wer Rum mag, wird früher oder später in Guyana landen. Und feststellen, dass es sich um eines der faszinierendsten Rum-Länder dieser Erde handelt – obwohl (oder weil) es in Guyana nur noch eine einzige Destillerie gibt. Die Faszination von Demerara-Rum (die Bezeichnung stammt von der gleichnamigen Region in Guyana) speist sich nicht unerheblich aus der Vergangenheit und hat ihre Ursprünge in der Kolonialzeit des 16. Jahrhunderts: Einst gab es in Guyana zwischen 200 und 300 Zuckerrohrplantagen, meist mit angeschlossener Brennerei. Mit schwindender Nachfrage wurden die Plantagen und Destillerien im Laufe der Zeit jedoch drastisch dezimiert. Ende der 1930er-Jahre gab es nur noch neun Destillerien in Guyana, um 1970 gerade noch drei. In den 1990er-Jahren schlossen schließlich die legendäre Enmore-Destillerie (1994) und die Uitvlugt-Destillerie (1999) ihre Pforten. Mit Beginn dieses Jahrtausends verblieb die von Demerara Distillers Limited (DDL) betriebene Diamond Distillery als letzte aktive Brennerei. Allerdings leben die alten Brennereien in gewisser Form weiter, denn Diamond übernahm einige Brennanlagen aus den geschlossenen Betrieben – historische Brennapparate und weltweit einmalige Raritäten, manche davon mehrere hundert Jahre alt und aus Holz gefertigt. Sie ergeben sie einen ganz besonderen, unverwechselbaren Rum-Stil, der bei Kennern hoch im Kurs steht.
Zu Bekanntheit gelangte DDL durch seine Marke El Dorado. Mit der Standard-Range, insbesondere mit den Bestsellern El Dorado 12, 15 (hier unser Review) und 21 (hier unser Review), dürften die meisten Rumfreund*innen schon einmal Bekanntschaft gemacht haben. Bei ihnen handelt es sich um Blends aus den Destillaten der unterschiedlichen Brennanlagen der Diamond Distillery. Allerdings sorgt die Praxis der (offiziell nicht deklarierten) Zuckerzugabe nicht nur für Freude innerhalb der Rum-Community.
Die Geschichte des Demerara-Rums ist ausgesprochen komplex und selbst für Kundige nicht immer leicht nachzuvollziehen. Der wohl ausführlichste Beitrag zu diesem Thema stammt von Marco Freyer, der mit großer Akribie der Geschichte und den Hintergründen des Demerara-Rums nachgeht. Ein sehr lesenswerter Artikel für alle, die ein wenig tiefer in die Materie einsteigen möchten. Allerdings sollte man sich für die Lektüre am besten gleich mehrere Flaschen Rum bereitstellen, denn der Beitrag ist ebenso umfangreich wie sein Gegenstand.
Skeldon und Albion: Einhörner der Rum-Welt
Unter den Demerara-Rums gelten die Namen Skeldon und Albion als besonders mythenumrankt. In beiden Fällen handelt es sich um ehemalige guyanische Brennereien, die in den 1960er-Jahren stillgelegt wurden (Skeldon im Jahr 1960 und Albion im Jahr 1968). Zu Berühmtheit kamen sie durch Luca Garganos Velier-Veröffentlichungen in den frühen 2000er-Jahren. Damals zunächst wenig beachtet, gelten insbesondere die beiden Skeldon-Abfüllungen (1973 und 1978) und auch die Albion-Abfüllungen (1983, 1984, 1986, 1989 und 1994) von Velier heute als so etwas wie die Einhörner der Rum-Welt. Sie sind kaum mehr erhältlich – und wenn, dann nur zu exorbitanten Preisen. Im Rückblick erwiesen sich Veliers Demerara-Rums als derart stilbildend, dass Lance Surujbally von The Lone Caner von einem „Age of Velier’s Demeraras“ spricht – auch dies im Übrigen ein sehr lesenswerter dreiteiliger Beitrag.
Dabei muss man wissen, dass bereits die Velier-Abfüllungen, die die Namen Skeldon und Albion auf dem Label tragen, nicht (wie man vermuten könnte) aus den ursprünglichen Destillerien stammten – diese waren ja bereits seit Jahren geschlossen. Vielmehr handelt es sich um Nachbildungen des jeweiligen Brennerei-Stils, der mit den zur Verfügung stehenden Brennanlagen „nachgebaut“ wurde. Der jeweilige Stil wird durch sogenannte „Marks“ gekennzeichnet (z. B. SWR im Fall von Skeldon und AN bzw. AW im Falle von Albion).
Die El Dorardo Rare Collection
Irgendwann (genauer gesagt 2014, als der ehemalige DDL-Chairman Yesu Persaud im stattlichen Alter von 85 Jahren in den Ruhestand ging) begriff DDL, dass man den vorhandenen Ru(h)m und die damit einhergehenden Verdienstmöglichkeiten auch selbst nutzen könnte, anstatt die wertvollen alten Fässer einem italienischen Rumenthusiasten zu überlassen. So drehte man Luca Gargano kurzerhand den Zapfhahn zu – und das Zeitalter von Veliers Demerara-Rum gelangte im Jahr 2014 abrupt an sein Ende. An dessen Stelle trat DDL mit einer eigenen High End-Range: der Rare Collection. Unter den bisherigen Veröffentlichungen befinden sich zwei Port Mourants, zwei Enmores sowie ein Versailles. Die Reaktionen darauf fielen eher gemischt aus, zumal die Preise recht hoch angesetzt wurden und die Abfüllungen, so der allgemeine Tenor, nicht an die Qualität der alten Velier-Abfüllungen heranreiche. Beim Versailles wurden gar in mehreren Messungen Zusätze nachgewiesen (bzw. zumindest vermutet).
El Dorado Albion 2004
Vor diesem Hintergrund ist es ein kluger Schachzug von DDL, im Rahmen der El Dorado Rare Collection nun einen Skeldon und einen Albion zu veröffentlichen. Angesichts der mythischen Namen für viele Rumliebhaber ein Highlight des Jahres 2019 – zumindest, was die Erwartungen angeht.
Als Rum des Monats im März 2019 haben wir uns für den El Dorado Albion 2004 entschieden, der uns noch ein wenig mehr zusagt als der zweifellos nicht minder interessante Skeldon 2000. Uns ist bewusst, dass es sich um die bisher teuerste im Rum-Magazin vorgestellte Abfüllung handelt und der Albion sicherlich kein klassischer Einsteiger-Rum ist. Vermutlich wird er auch nur für kurze Zeit verfügbar sein. Nichtsdestotrotz halten wir diese Abfüllung – auch vor dem Hintergrund ihrer Vorgeschichte – für so spannend, dass wir ihn allen Rum-Interessierten ans Herz legen möchten – egal wie erfahren sie sein mögen.
Albion war ursprünglich eine Zuckerplantage, die zu Beginn des 19. Jahrhundert am Fluss Berbice gegründet und seit ca. 1840 aktiv betrieben wurde. Aus der anfallenden Melasse produzierte man Rum, vermutlich mit einer Wooden Coffey Still. Im Jahr 1968 wurde die Albion Distillery geschlossen und die Rumproduktion kam zum Erliegen (im Gegensatz zur Zuckerproduktion, die bis zum heutigen Tag fortgeführt wird). Bekannte Albion-Marks sind AN und AW.
Der El Dorado Albion 2004 trägt das Mark AN. Da er im Jahr 2004 produziert wurde, stammt er definitiv aus der Diamond Distillery, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits die einzig verbliebene Brennerei in Guyana war. Unklar ist allerdings, ob der Rum mit der Wooden Coffey Still (Enmore) oder der Metal Coffey Still (Blair) destilliert wurde (andere Quellen nennen auch die French Savalle Stills als möglichen Ursprung, was jedoch als unwahrscheinlich gilt, zumal auf dem Flaschenlabel von einer „Continous Coffey Still“ die Rede ist). Er reifte in von 2004 bis 2018 in Ex-Bourbon-Fässern in Guyana. Somit handelt es sich um einen vollständig tropisch gereiften Rum mit einem Alter von 14 Jahren. Der Rum wurde in Fassstärke abgefüllt und hat einen Alkoholgehalt von 60,1 %. Über die Zahl der abgefüllten Flaschen ist nichts bekannt, sie dürfte bei ca. 3.000 Flaschen liegen.
Tasting
Ein Wort vorweg: Ich bin zu spät in die Rum-Welt eingestiegen, um die alten Velier-Demeraras noch in größerem Umfang kennengelernt zu haben. Für einige Rum-Aficionados sind die Skeldons und Albions von Velier – die ich (bisher) allesamt leider nie probieren konnte – das Nonplusultra. Blogger (z. B. Single Cask Rum und Barrel Aged Thoughts), die diese Abfüllungen kennen und den El Dorado Skeldon 2000 und den Albion 2004 ebenfalls besprochen haben, geben den alten Veliers den Vorzug. Mangels eigener Erfahrungen kann ich dazu kein Urteil fällen. Dementsprechend möchte ich möglichst unvoreingenommen an die Sache herangehen und den Rum für sich selbst sprechen lassen.
Man sollte dem El Dorado Albion 2004 unbedingt einige Zeit im (nicht zu klein gewählten!) Glas geben. Dadurch verfliegt die zunächst vorhandene alkoholische Grundnote und die Aromen können sich vollständig entfalten. Ein Tropfen Wasser macht sich positiv bemerkbar.
Und dann: Wow! Was für eine Nase! Zunächst deutliche Noten von Karamell und braunem Zucker mit verbranntem Einschlag. Wie Creme Brûlée, die ein bisschen zu lange mit dem Bunsenbrenner bearbeitet wurde. Dazu dunkler Kakao und eine schöne Fruchtebene mit getrockneten Aprikosen, Rosinen und Orangenschale. Zu Backgewürzen (Piment, Nelke) gesellt sich salzige Meeresluft. Besonders charakteristisch erweist sich das würzige Spektrum: eine große Ladung Eichenholz, Kork, frisch polierte Holzmöbel, Tabak, Espresso und Lakritze. Dazu Politur, Uhu-Kleber und leicht florale Anklänge. Dieses Bouquet ist großes Kino!
Im Mund macht eine karamellige Süße den Auftakt, die sich mit Aprikose und ein wenig Kokosnuss mischt. Dann setzen heftige Attacken von Eichenholz, Tabak und Leder ein, die zur Mitte hin in verbranntes Karamell und eine tiefschwarze Espressonote umschlagen. Dazu gesellt sich eine (fast schon zu) ausgeprägte Chili-Schärfe. Das Finish setzt mit Eiche und Kakao ein und gibt in Sachen Adstringenz nochmals richtig Gas. Gegen Ende kommt eine fleischige Umami-Note ins Spiel. Die Kaffeenoten hallen lange nach.
Fazit
Ist der Albion 2004 ein Schnäppchen? Wohl kaum. Ist er das Nonplusultra der Rum-Welt? Vermutlich auch das nicht. Aber ohne Zweifel ist er ein verdammt guter Rum, der die Chance bietet, einen wunderbaren Rum-Stil abseits der alten Velier-Demeraras zu entdecken. Kleinere Mängel sind wahrnehmbar, auch ohne einen Quervergleich zu den Velier-Abfüllungen heranziehen zu müssen. Für mich persönlich dominieren die Schärfe und die Adstringenz etwas zu sehr, allerdings ist dies Kritik auf allerhöchstem Niveau. Unter dem Strich ist der El Dorado Albion 2004 ein fantastischer Rum, der seinen Reiz nicht zuletzt aus seiner Geschichte bezieht. Wer einen außergewöhnlichen Rum erwerben möchte, der die historische Größe vergangener Zeiten atmet, trifft mit dem Albion 2004 definitiv eine gute Wahl.
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