Clairin Casimir

Rum des Monats November 2018

Rum-Review   •   3. November 2018

Clairin – Haiti, Terroir und die Macht des Zufalls

Was die Welt des Rums so faszinierend macht, ist ihre schier unendliche Vielfalt. Egal, wie viele Rumsorten man schon probiert hat – man kann immer wieder Neuentdeckungen machen, die einen in Erstaunen und manchmal auch ins Schwärmen versetzen. Eines der spannendsten Produkte der letzten Jahre ist Clairin, ein Zuckerrohrdestillat aus Haiti und enger Verwandter des Rhum Agricole. Allerdings mit einer ganz eigenen Geschichte.

Das Besondere an Clairin ist die Art und Weise, wie er hergestellt wird. Die Fermentation erfolgt nicht wie üblich mit industriellen Zuchthefen, sondern mit wilden Hefen, die natürlicher Bestandteil der jeweiligen Mikroflora sind. Das Ergebnis dieser Spontangärung kann man nie ganz genau vorhersehen. Mut zum Zufall, sozusagen.

Ähnlich wie bei Wein spielt das „Terroir“ für Clairin eine große Rolle: Zum einen findet man in Abhängigkeit von der regionalen Mikroflora unterschiedliche, die Fermentation beeinflussende Hefen vor. Zum anderen sind auch die verwendete Zuckerrohrart und die Beschaffenheiten des Bodens, auf dem das Zuckerrohr angebaut wurde, von entscheidender Bedeutung. Clairin ist ein vollständiges Naturprodukt – ein mitunter überstrapazierter Begriff, der hier allerdings berechtigt ist: Das Zuckerrohr muss aus Haiti stammen und biologisch angebaut werden; die Ernte erfolgt ausschließlich von Hand, der Transport des Zuckerrohrs vom Feld zur Destillerie wird mit Tieren bewerkstelligt; bei der Fermentation sind keinerlei Zugaben erlaubt. Nach der Destillation kommt Clairin direkt in die Flasche. Das bedeutet: keine Fassreifung, keine Verdünnung, keine Zugabe von Geschmacksstoffen. Aus diesem Grund ist jeder gebrannte Clairin-Batch im Grunde genommen ein Unikat, das es so nur einmal gibt und nicht hundertprozentig reproduzierbar ist.

An Clairin zeigt sich einer der großen Vorzüge von Zuckerrohrdestillaten: Alleine durch die Fermentation können hier – anders als zum Beispiel bei Whisky-News-Makes – erstaunliche aromatische Ergebnisse erzielt werden, ohne dass der R(h)um auch nur eine Sekunde im Fass verbracht hat. „Weiße“ Rums können hervorragend schmecken und stecken in Sachen Komplexität so manchen gereiften Vertreter in die Tasche (man denke beispielsweise an all die vermeintlichen „Solera“-Erzeugnisse).

Haiti ist ein armes Land mit einer bewegten Geschichte. Das Nationalgetränk Clairin ist für jedermann erschwinglich, da es sich günstig und mit wenig Aufwand herstellen lässt. Mehr als 500 Clairin-Brennereien gibt es in Haiti. Die meisten davon sind bäuerliche Mikrodestillerien, die mit sehr einfachen Brennapparaturen den regionalen Bedarf vor Ort abdecken. Oft wird das Destillat einfach in mitgebrachte Plastikkanister abgefüllt. Und auch bei Voodoo-Riten spielt Clairin eine Rolle.

Es war Rum-Guru Luca Gargano von Habitation Velier, der den entscheidenden Impuls für die Verbreitung von Clairin gab. Im Jahr 2012 reiste nach Haiti und war von dem ungewöhnlichen Getränk so angetan, dass er sich dazu entschloss, seine Entdeckung der gesamten Rum-Welt zugänglich zu machen. In Kooperation mit LMDW vertreibt Velier die Clairins in Europa und mittlerweile auch in den USA.

Luca Gargano Haiti Karneval
Luca Gargano hat Spaß in Haiti

Clairin Casimir

Unser Rum des Monats im November 2018, der Clairin Casimir, sticht schon wegen seines außergewöhnlichen Flaschendesigns ins Auge. Das Label erinnert in seiner farbenfrohen Naivität an die Gemälde Paul Gauguins und wurde von dem haitianischen Künstler Simeon Michel entworfen. Benannt ist der Clairin nach seinem Destillateur Faubert Casimir. Er produziert an der haitianischen Küste im Dorf Barradères und hat die 1979 gegründete Destillerie von seinem Vater übernommen. Wie bereits erwähnt, erfolgt eine Spontangärung des frischen Zuckerrohsaftes, für den die Zuckerrohrart „Hawaii“ Verwendung findet. Destilliert wird mit Pot Stills. Gegenüber anderen Clairins weist der Casimir die Besonderheit auf, dass der Zuckerrohrsaft vor der Fermentation zusätzlich mit Botanicals wie Zimt, Zitronengras und Ingwer aromatisiert wird. Der Alkoholgehalt wechselt je nach Batch und liegt über 50%.

Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die anderen Clairins wie den grasig-frischen Sajous oder den Vaval, die ebenfalls eine Verkostung wert sind.

Clairin Range
Clairin Vaval, Casimir und Sajous
Luca Gargano und Faubert Casimir
Luca Gargano und Faubert Casimir im Gespräch

Tasting

Schon ein erstes Schnuppern am Casimir macht deutlich, dass man etwas Außergewöhnliches im Glas hat. Die Aromen schlagen einem förmlich entgegen: Süße Früchte (überreife Banane, Ananas, Passionsfrucht und Galiamelone) liefern sich einen Wettkampf mit Beeren-, Zitrus- und Esternoten (Lösungsmittel, Politur). Erinnert ein bisschen an Obstbrand aus Opas Schrank, den der Nachbar schwarz im Keller gebrannt hat. Dazu eine subtile Würze mit Lakritze, frischem Leder, Zimt und Marzipan. Und Aromen, die man sonst eher nicht mit Rum in Verbindung bringt: Erde, rote Bete, Olive, Anchovis und Jodsalz. Dazu etwas Fleischiges – wohl das, was man gemeinhin unter „Umami“ versteht. Aber da ist noch mehr: schwarzer Tee, Dill, Gurke und Fenchel. Wenn man tief ins Glas hineinriecht, eine pikante Pfefferschärfe. Unglaublich! Der Clairin Casimir hat eine fast schon magische Anziehungskraft. Nicht auszuschließen, dass haitianischer Voodoo im Spiel ist.

Am Gaumen geht es ähnlich bunt zur Sache: Nach einem süß-sauren Auftakt – saure Drops! – kommen frische Früchte (Birne, Beeren) zum Vorschein. Dann ein abrupter Übergang zu kräftiger Minze bis hin zu einer intensiven Pfefferschärfe, die sich mit erdigen Tönen von Lakritze und roter Bete mischt. Das sehr lange, trockene Finish setzt mit einem salzig-mineralischer Nachgeschmack ein, der schließlich in Räucherfisch und Mu-Err-Pilze übergeht (klingt abgefahren und ist auch so).

Fazit: Charakter, Tradition, Komplexität

Clairin ist anders. Er hat rauen Charme, Ecken und Kanten. Statt fancy Marketing erhält man ein handwerkliches Produkt, wie man es bereits vor Jahrhunderten hergestellt hat. Und ein authentisches (hier ist dieses Adjektiv mal wirklich erlaubt) Geschmackserlebnis mit Charakter, Tradition, Komplexität und Terroir. Hier wird nicht gesüßt, PX-gefinished oder vanillisiert. Clairins sind Kraftpakete, die einem eine volle Breitseite Aromen um die Geschmacksorgane hauen. Bei aller Intensität besitzen sie allerdings auch eine ganz eigene Eleganz. Vor allem aber macht Clairin Spaß und bringt ein ziemlich einzigartiges Geschmackerlebnis ins Glas. Und das für einen Preis, der fast schon absurd niedrig ist.

Der Clairin Casimir ist nichts für Einsteiger oder notorische Süßrum-Jünger. Aber definitiv etwas für alle Neugierigen, die mehr über die Welt des Rums und ihre Möglichkeiten erfahren möchten. Für alle Abenteurer, die dazu bereit sind, sich auf eine völlig andere Interpretation von Rum einzulassen. Clairin ist mit das Spannendste, was man trinken kann. Möge er viele mutige Entdecker finden.

Fotos: © Habitation Velier / Kirsch Whisky

Vielen Dank an Kirsch Whisky für die Produktproben und die Bilder.

Clairin Casimir
Clairin Casimir

Rum-Score: 87/100

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1 Kommentar zu „Clairin Casimir“

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